Interview mit Ellen Walker, Gründerin von RightsTech Women (RTW)
Ellen Walker prägt RightsTech Women seit mehr als 5 Jahren. Am 25. Juni 2018 wurde RTW offiziell als gemeinnütziger Verein in Genf gegründet. Im Jahr 2022 beschloss Amanox, RightsTech Women mit einer Geldspende zu unterstützen. Jetzt, fast ein Jahr später, wollten wir von Ellen wissen, wie es dem Verein heute geht und wie das Geld bei der Entwicklung helfen konnte.
Was ist das Ziel von RightsTech Women?
Unser Hauptziel ist es, mehr Mädchen und Frauen für eine Ausbildung und Karriere im Bereich MINT (Wissenschaft, Technologie, Ingenieurwesen und Mathematik) zu gewinnen. Wir versuchen, bis 2030 eine gleichberechtigte Vertretung von Frauen in MINT-Berufen zu erreichen. Das ist ein ehrgeiziges Ziel, denn derzeit sind wir in vielen Ländern noch weit davon entfernt. Wir beginnen damit, Lernende in 33 Ländern in 5 Regionen anzusprechen, die anhand von Daten ausgewählt wurden. Zudem haben wir diverse Forschungsergebnisse, die wir so bald wie möglich veröffentlichen werden.
Was sind einige der Aktivitäten, die RTW heute durchführt?
Wir bauen MINT-Fähigkeiten für Frauen und Mädchen durch verschiedene Schulungen auf, darunter Datenwissenschaft, Robotik und Programmierung. Unser letztes technisches Training, das wir gemeinsam mit Partnern während COVID entwickelt haben, befasst sich mit der Nutzung von Satellitendaten zum Verständnis des Klimawandels, unter Verwendung der Google Earth Engine-Plattform.
Während der Schulungen bitten wir in der Regel die Trainer, ihre Erfahrungen mit den Lernenden in Mentoren Sitzungen zu teilen. Diese sind für die Lernenden wertvoll, um kleine, machbare Schritte für ihre Lern- und Karrierewege zu entdecken. Anstatt nur ein grosses, vages Ziel zu haben, wie z. B. "Programmierer zu werden", helfen wir ihnen herauszufinden, was die nächsten kleinen Schritte sind und geben ihnen Tipps und Tricks für den Erfolg in der Ausbildung und im Beruf.
Wir haben auch damit begonnen, Projekte zur Kompetenzentwicklung mit Technologieunternehmen durchzuführen. So arbeiten wir derzeit mit einem Technologieunternehmen und einem seiner Zulieferer zusammen, um dort Frauen weiterzubilden und so deren Aufstieg im Technologiebereich zu fördern.
Sind die Frauen die einzigen, die sich über die unausgewogene Vertretung in MINT-bezogenen Branchen Sorgen machen?
Das ist ein Thema, das für jeden ganz oben auf der Tagesordnung stehen sollte. Es gibt genug Platz für alle. Wir versuchen nicht, Frauen dazu zu bringen, Männer zu ersetzen. Stattdessen ermutigen wir die Arbeitgeber, mehr Frauen einzustellen und bestehende weibliche Beschäftigte, die an einer Umschulung interessiert sind, weiterzubilden, um eine ausgewogenere Situation in ihren MINT-Bereichen zu erreichen.
Stell dir vor, du startest eine Rakete von der Erde. Wenn man um ein paar Grad daneben liegt, mag das auf der Erdoberfläche nicht so schlimm aussehen. Aber wenn du den Weltraum erreichst, ist die Abweichung sehr gross. Im Moment ist es so, dass die Zahl der technischen Berufe und die Zahl der Berufe, für die man diese Fähigkeiten braucht, wächst. Aber bei der Vertretung von Mädchen und Frauen sind wir im Rückstand. Für die Schweiz gibt das Bundesamt für Statistik (BFS) an, dass im Q2 des Jahres 2023 24'948 Frauen in der Informationstechnologie und im Dienstleistungssektor arbeiteten. Diese Zahl entspricht 20,9 % der gesamten Beschäftigten (Vollzeitäquivalente) in diesem Sektor.
Es braucht also viele Initiativen und Menschen, die gemeinsam etwas unternehmen, um speziell die Vertretung von Frauen in IT-Berufen zu ändern.
Zum Thema
Ausführlichere Statistiken über Frauen in der Tech-Branche in der Schweiz von 1991 bis 2022 findest du hier.
Als gemeinnütziger Verein erhaltet ihr Spenden, wie die von Amanox. Wie hilft die Spende der Organisation?
Wenn wir uns beispielsweise die letztjährige Spende von Amanox anschauen, hat dieser Betrag auf mehreren Ebenen geholfen. So konnten wir:
- die Kosten für die erste Teilzeitkraft decken, die mit dem Vorstand zusammenarbeitet, um die Organisation zu entwickeln und ihre Aktivitäten zu planen und durchzuführen;
- die Kosten für die Zoom-Lizenz der RTW, die Versicherung und andere grundlegende Kosten für den Betrieb decken;
- das kostenlose Bildungsprogramm «AWS-GetIT-Programm» unterstützen, welches Schulkindern zwischen 12 und 14 Jahren in den Schweizer Kantonen Genf, Schaffhausen, Tessin und Waadt zugutekommt. Das Programm half den Kindern zu entdecken, wie sie eine Applikation zum Wohle ihrer Gemeinschaft entwickeln können, und die Schulen konnten an einem nationalen Wettbewerb teilnehmen, der von AWS-Mitarbeitern bewertet wurde. Ein reines Mädchenteam der "International School of Schaffhausen" belegte den ersten Platz.
- die Scoping- und Planungsphase eines neuen Schulungsprogramms zur Umschulung von weiblichen Fabrikarbeitenden und anderen Beschäftigten in einem grossen Technologieunternehmen in Tschechien, angesichts der raschen Veränderungen am heutigen Arbeitsplatz durchführen (in Arbeit);
- die Planung und Durchführung von zwei Schulungen zum Thema "Nutzung von Satellitendaten zum Verständnis des Klimawandels" aufgleisen. Eine ist für Kinder an der "International School of Geneva" und die andere für Mädchen und Frauen ab 14 Jahren in der Region Genf, die im CERN IdeaSquare stattfinden wird (in Arbeit).
Die Unterstützung von Amanox und unseren anderen Partner und Mitarbeitenden war entscheidend dafür, dass wir diese Aktivitäten bisher durchführen konnten.
Und wir freuen uns darauf, mit der grosszügigen Unterstützung unserer Partner, mehr Mädchen und Frauen auf der ganzen Welt mit wirkungsvollen Schulungen zu erreichen. Nochmals vielen Dank für diese wertvolle Unterstützung, von ganzem Herzen!
Welche Möglichkeiten hat die RTW identifiziert, um bis 2030 MINT-Gerechtigkeit zu erreichen?
Es handelt sich um ein globales Problem; die Unterrepräsentation ist nicht nur in der Schweiz ein Thema. Es hängt aber davon ab, ob man über die Bildung oder Beschäftigung spricht und welche Bereiche innerhalb der MINT und welches Land man betrachtet.
Im Bildungsbereich sind wir der Meinung, dass Länder und Arbeitgeber einen zweigleisigen Prozess unterstützen müssen, um bis 2030 Gleichberechtigung im MINT-Bereich zu erreichen: Mädchen und Frauen sollen ermutigt werden, ein formales MINT-Studium zu absolvieren und Frauen, die bereits berufstätig sind, sollen auf die erforderlichen MINT-Fähigkeiten umgeschult werden.
Hierfür arbeiten wir mit Frauen zusammen, die keine formale Ausbildung im Bereich der technischen Fähigkeiten haben und die neue Fähigkeiten entdecken oder auf ihren vorhandenen aufbauen wollen. Alle, die eine Umschulung anstreben, können darüber nachdenken, wie eine neue Fähigkeit ihrer Arbeit zugutekommen oder ihnen helfen könnte, um am Arbeitsplatz voranzukommen
Auf der Beschäftigungsseite ist es ein zweigeteiltes Problem: zum einen geht es darum, bereits ausgebildete Frauen zu finden, die technische Berufe ausüben und befördert werden können, zum anderen müssen aber auch viele Frauen, die bereits am Arbeitsplatz sind, umgeschult werden.
Eine McKinsey-Studie vom Juli 2023 (für die USA) legt nahe, dass Frauen mit 1,5-facher Wahrscheinlichkeit von generativer KI betroffen sind, während ein ILO-Bericht auf eine Vermehrung der Arbeitsplätze hinweist. Auch wenn nicht nur Frauen von dieser Veränderung betroffen sein werden, ist die Überwindung kultureller Vorurteile bei Frauen, insbesondere am Arbeitsplatz, entscheidend. Ich selbst musste Vorurteile hinsichtlich meines eigenen Lernen überwinden. Deshalb bezeichne ich mich als Technik-Lernende und möchte mehr Frauen und Mädchen dazu ermutigen, sich ebenfalls als Technik-Lernende zu betrachten.
Daher ist es wichtig, dass die Arbeitgeber mit dem Ziel beginnen, etwas zu ändern, wohl wissend, dass dies nicht über Nacht geschehen wird. Aber es ist wichtig, damit zu beginnen. Wir können dies alle gemeinsam erreichen - jeder Beitrag zählt!
RTW hat die 5-Jahres-Grenze überschritten, herzlichen Glückwunsch! Was waren die Höhen und Tiefen?
Dankeschön! Wir haben eine Menge erreicht, und ich bin stolz darauf! Es war nicht einfach, während einer weltweiten Pandemie eine gemeinnützige Organisation zu gründen und ich habe darüber nachgedacht, einen anderen Weg einzuschlagen. Aber meine Leidenschaft ist es, für Mädchen und Frauen auf der ganzen Welt etwas zu bewirken, indem ich mich den Herausforderungen im MINT Bereich und den Menschenrechten stelle. Ich glaube, dass dies der beste Weg ist, um den meisten Frauen auf der Welt und ihren Gemeinschaften zu helfen, die von ihren Fähigkeiten und Problemlösungen profitieren werden.
Unser Ausbildungsansatz ist innovativ und kommt Ländern, Arbeitgebern und Frauen gleichermassen zugute. Wir haben Lücken überbrückt und neue Ideen im Bereich der Geschlechtergleichstellung eingeführt. Der Start-up-Prozess ist eine Herausforderung, aber unser engagiertes Team, bestehend aus Mitarbeitenden, dem Vorstand und Freiwilligen aus Organisationen wie CERN Women in Technology und unsere Unterstützer, geben uns immer wieder neue Impulse.
Das Wachstum von Mädchen und Frauen in unseren Programmen treibt uns an, denn wir wollen ihnen den gleichen Zugang zu wirtschaftlichen Ressourcen und Wissen ermöglichen.
Durch unsere Partnerschaften beeinflussen wir auch ungewollt andere und motivieren sie, sich neue Fähigkeiten anzueignen. Ich glaube an ständiges Lernen, und das ist etwas, wozu ich von ganzem Herzen ermutige. Fangen Sie einfach an!
Was sind die nächsten Schritte für RTW, um die Ziele zu erreichen?
Das Arbeitsprogramm von RightsTech Women für die nächsten fünf Jahre umfasst die Ausbildung von Mädchen und Frauen in den Bereichen Technik und Menschenrechte, Lobbyarbeit bei den Vereinten Nationen und mehr Forschung. Um diese Arbeit leisten zu können, brauchen wir das nötige Personal und die nötigen Mittel. Wir wollen unser Programm erweitern, um 500.000 Mädchen und Frauen in 33 Ländern zu erreichen.
Privatpersonen und Arbeitgeber können ihre Unterstützung zeigen, indem sie sich über unsere Arbeit informieren und diese Informationen in ihren Netzwerken weitergeben, eine Spende leisten oder ihre Mitarbeitenden als technische Coaches einsetzen.
Ausserdem werden wir uns mit ihnen und für sie bei den Vereinten Nationen dafür einsetzen, dass sie ihre Geschichten in Bezug auf ihre Menschenrechte und MINT-Karrieren erzählen können. Damit können wir nicht nur schwierige Geschichten weitergeben, die dazu beitragen können, Empathie und Verständnis aufzubauen, sondern auch Erfolgsgeschichten und funktionierende Lösungen teilen. Davon können auch Männer profitieren und sich für Vielfalt stark machen und anderen Menschen an ihrem Arbeitsplatz ein Vorbild sein. Wir wissen, dass viele Männer dies bereits tun, also sollten wir diese lohnenden Bemühungen weiter ausbauen. Je mehr Ideen, desto besser.